Schadenersatzansprüche Minderjähriger nach einem Verkehrsunfall
Das deutsche Rechtssystem kennt für Kinder und Jugendliche eine andere Verantwortlichkeit als für Erwachsene. Sorglosigkeit, geringere Lebenserfahrung und Regelbrüche werden für Heranwachsende als Teil des Reifeprozesses anerkannt. Auch im Zivilrecht führt das zu einer differenzierten rechtlichen Wertung, die sich in verschiedenen Altersstufen ausdrückt.
Dazu regelt der § 828 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):
(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.
(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.
(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.
Der Gesetzestext selbst stellt also bereits einen direkten Bezug zu Unfällen mit Verkehrsmitteln her, die sich unter Beteiligung von Kindern ereignen.
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I. Fallbeispiel zu Schadenersatzansprüche Minderjähriger nach einem Verkehrsunfall: Der 6-Jährige
Was bedeutet dies nunmehr, wenn ein Sechsjähriger an einem Verkehrsunfall beteiligt ist? Verdeutlicht werden kann die Rechtslage bezüglich etwaiger Schadenersatzansprüche anhand eines Fallbeispiels.
Nehmen wir den Fall, dass ein Sechsjähriger unvermittelt vor ein fahrendes Auto läuft und von diesem erfasst und schwer verletzt wird. Der Autofahrer konnte ihn nicht sehen, der Unfall war für diesen nicht zu vermeiden.
Hier wurde nun auch der Sechsjährige durch den Autofahrer verletzt. Somit ist der Autofahrer dem Sechsjährigen gegenüber schadenersatzpflichtig, etwa für Heil- und Behandlungskosten. Der Autofahrer seinerseits hat indes keinerlei Ansprüche gegen den Sechsjährigen, denn § 828 Absatz 1 BGB ordnet an, dass nicht für Schäden haftet, wer das siebente Lebensjahr nicht vollendet hat. Somit ist der Sechsjährige von der Haftung ausgeschlossen, etwa für Schäden am Fahrzeug.
Auch die möglichen Ansprüche gegen die Erziehungsberechtigten wegen Aufsichtspflichtverletzung sind sehr rechtlich schwer durchsetzbar. Erstens, weil die Nachweisbarkeit einer Aufsichtspflichtverletzung in der Praxis kaum möglich ist. Und zweitens, weil Eltern im Rahmen der eigenüblichen Sorgfalt nur soweit haften, wie sie diese Sorgfalt üblicherweise auch in eigenen Angelegenheiten an den Tag legen.
Heißt: Als Beteiligter an einem Unfall mit (fremden) Kindern unter sieben Jahren bleibt man nicht selten auf allen aus dem Unfall resultierenden Folgen sitzen. Auch auf den Kosten.
II. Die Haftungsfrage bei älteren Kindern: Der 12-Jährige
Wie ist nun die Rechtsfolge, wenn ein Zwölfjähriger an einem solchen Verkehrsunfall beteiligt ist?
Hier kommt die Regelung aus § 828 Abs. 3 zum Tragen.
Rennt also ein Zwölfjähriger unbedarft hinter einem PKW hervor und kommt es dadurch zu einem Verkehrsunfall mit einem Autofahrer, so haftet hier der Zwölfjährige zu 100 %, sofern der Autoführer keinen Anteil am Verschulden des Unfalls trägt.
Hier wäre die Haftung nur ausgeschlossen, wenn der Zwölfjährige seinerseits nicht einsichtsfähig wäre. Das wiederrum bemisst sich danach, ob das konkret beteiligte Kind (über zehn Jahre) die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte. Bei normal entwickelten Zwölfjährigen dürfte die Einsicht jedoch anzunehmen sein, die Gefahren des Straßenverkehrs bereits einschätzen zu können.
Hier hat der Fahrzeugführer seinerseits einen 100-prozentigen Schadenersatzanspruch gegen den Zwölfjährigen wegen seiner etwaigen Sachschäden.
Ausnahmen nicht übersehen!
Klar ist: Das echte Leben ist in der Regel selten so klar. Vielmehr sind meist wesentlich komplexere Sachverhalte und Rechtsfragen zu erörtern.
Zudem gibt es auch in rechtlicher Hinsicht Ausnahmen!
Zunächst ist gesetzlich geregelt, dass im Falle des vorsätzlichen Handelns auch Sieben- bis Zehnjährige haften (§ 828 Abs. 2 Satz 2 BGB). Klassisches Beispiel: Das Werfen von Steinen von einer Brücke in den fließenden Verkehr.
Zum anderen gibt es den Ausnahmefall, dass bei einem Verkehrsunfall keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs gegeben ist. Denn das Haftungsprivileg aus § 828 BGB soll nur dann greifen, wenn das betroffene Kind einer solchen Überforderung erlegen ist. Typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs sind etwa das aus der Dynamik des Verkehrs und dem technischen Unverstand erwachsene Unvermögen, Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten.
Diese Konstellation wurde abweichend vom Gesetzeswortlaut des § 828 Absatz 2 Satz 2 BGB durch die Rechtsprechung des BGH entwickelt.
Im Übrigen gibt es Fälle, in denen mehrere der Beteiligten – Kind, Verkehrsteilnehmer, Aufsichtspflichtige – Anteil am Verschulden eines Unfalls haben. In diesen Fällen kann eine sogenannte gestörte Gesamtschuld vorliegen. Die konkrete Aufarbeitung eines Unfalls sollte also nach Möglichkeit bereits erfolgen, bevor es zur Klage oder einer Gerichtsverhandlung kommt.
Resümee
Die Mithaftung von Minderjährigen zwischen zehn und 18 Jahren bei einem Verkehrsunfall ist eine Frage des Einzelfalls.
Eltern sollten wissen, dass ihre sechsjährigen und jüngeren Kinder grundsätzlich einen 100-prozentigen Schadenersatzanspruch gegen einen Autofahrer bei einem Verkehrsunfall haben. Im Regelfall gilt dies auch bei sieben- bis zehnjährigen Kinder. Allerdings bestätigen Ausnahmen – wie immer – diese Regel.